Durch die überregionale Mobilisierung, und viele kleine dezentrale Aktionen, war es auch vergleichsweise einfach eine beachtliche Zahl von Frauen auf die Straße zu bringen und öffentlichen Raum für die gemeinsame Sache einzunehmen.
Deshalb war es für uns klar, dass wir auch in 2014 wieder dabei sein wollen und wir luden kurzerhand zum Vernetzungstreffen ein. Dort war schnell feststellbar, dass es unterschiedliche Sichtweisen zur Herangehensweise gab, die uns letztlich zum Entschluss führten in 2014 auszusetzen, weil wir uns mit der vor Ort gewünschten Ausrichtung nicht wohl fühlen. Herzlich bedanken möchten wir uns bei den Deutschland-Koordinatorinnen, die uns die Möglichkeit geben auf diesem Blog unsere Sichtweise darzulegen und unsere Gedanken mit anderen zu teilen. Für das nächste Jahr haben wir uns vorgenommen früher mit der Vorbereitung zu beginnen um mehr Zeit zur gemeinsamen Diskussion und Erarbeitung einer Aktion, mit der sich alle wohl fühlen, zu haben.
Zu unseren Bauchschmerzen im Einzelnen:
I.
Der Wunsch auf den "Opferdiskurs" zu verzichten, und die Aktion "positiv" auszugestalten, liegt uns schwer im Magen. Die Eliminierung von Opfern halten wir für eine neoliberale Strategie um Unterdrückungsverhältnisse, auch geschlechtsspezifische, zu negieren und damit gleichzeitig zu legitimieren.
Opfer werden als schwach, passiv und hilflos dargestellt. Dem wird entgegengesetzt, dass verletzbare Personen eine Reihe von Strategien entwickeln müssen um mit ihrer Situation klarzukommen, und dass deshalb die Bezeichnung als "Opfer" falsch sei, denn die Person sei ja nicht schwach und hilflos, sondern vielmehr mutig und stark. In der neoliberalen Definition wird das "Opfersein" zum Charakteristikum: Wir können entweder wehrlose Opfer sein oder aktive Subjekte, aber nicht beides auf einmal. Es wird ein Dualismus kreiert, die Bezeichnung Opfer wird zum Schimpfwort (wer kennt das nicht von Jugendlichen die ihre Mitmenschen als "Du Opfer" beschimpfen?).
Nach dem Duden wird eine Person als Opfer bezeichnet, die durch jemanden oder etwas umkommt oder Schaden erleidet - über den Charakter dieser Person wird dabei nichts gesagt. Es geht nur darum, dass jemand einen Menschen schlägt, ausraubt, betrügt, oder ihr sonst irgendwie Leid zufügt.
Dem steht diese andere Umdefinition gegenüber, nach der eine Person unverletzlich ist, und ein aktives Subjekt, und die größte Gewalt, die ihr angetan werden kann, ist die, sie ein "Opfer" zu nennen.
Unser Problem mit dieser Betrachtungsweise ist in erster Linie, dass es dort wo es keine Opfer gibt, auch keine Täter gibt: Täter werden ausgeblendet und ihre Aktionen, ihre Motivationen, ihre Machtposition werden ausgeblendet. Den Dualismus entweder handelndes Subjekt oder wehrloses Opfer zu sein, finden wir problematisch, denn es handelt sich nicht um ein Gegensatzpaar, sondern beides geht zusammen. Der Gegensatz zu handelndes Subjekt ist Objekt. Der Gegensatz von Opfer ist nicht Subjekt, sondern Täter. Selbstverständlich kann ein Opfer, als Objekt gegen das sich die Aggression/Gewalt des Täters richtet, noch denken, fühlen, handeln. Und manchmal wählen Menschen bewusst die Unterordnung zum Täter, da er sich in einer solchen Machtposition befindet, dass jegliches Wehren die Situation verschlimmern würde/könnte. In der Logik der Argumentation des Neoliberalismus ist es hingegen dann nicht mehr erstaunlich, wenn ein "Nicht-Nein-Sagen" auch vor Gericht als "Ja" gewertet wird. Für uns ist der Fokus auf die Täter wichtig, denn egal wie das Opfer sich verhält: Es wird ihm zugefügte Gewalt nicht immer effektiv verhindern können. Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen kommt nicht umhin beim Aggressor anzusetzen. Wir wollen in einer Gesellschaft leben, in der wir nicht alltäglich Gewaltsituationen unterschiedlichster Art ausgesetzt werden und in der wir nicht unsere meiste Energie darauf verwenden, wie wir uns in die Lage versetzen können uns in einer entsprechenden Situation, mit etwas Glück, effektiv wehren zu können (und einer Täter-Opfer-Schuldumkehr ausgesetzt zu werden, wenn wir dabei „versagt“ haben). Wir können noch so stark und wehrhaft sein, in den vielfältigen Machtverhältnissen, denen wir ausgesetzt sind, gibt uns dies keinen ausreichenden Schutz. Die Reflektion über diese Machtverhältnisse entmächtigt uns nicht, sondern - im Gegenteil - sie gibt uns die Kraft gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeit laut zu werden, aufzubegehren und diese in Frage zu stellen. Denn nicht die Opfer, sondern die Täter sind das Problem.
II.
Als autonome Frauenstruktur ist es uns wichtig, dass wir keine Männer brauchen um politisch aktiv zu werden. Oft genug erleben wir, dass das Wort einer Frau nicht genau so viel zählt wie das eines Mannes. Ein Mann in einer Gruppe wird mehr wahrgenommen, sein Wort hat mehr Gewicht.
Dies resultiert aus einem System, in dem Frauen durch ein vernetztes Gefüge von sozialen, wirtschaftlichen, politischen und rechtlichen Machtstrukturen Nachteile gegenüber Männern haben. Diese Strukturen dienen letztendlich der Unterdrückung der Frau, denn sie statten Männer insgesamt mit Privilegien und besonderen Rechten aus. Diese Privilegien umfassen alle Aspekte des Lebens von Männern. Bedauerlicherweise verwechseln Männer diese Privilegien mit natürlichen, ihnen angeborenen Rechten.
Es reicht deshalb nicht für Männer keine Gewalt auszuüben oder respektvoll mit Frauen umzugehen. Auch der netteste, empathischste Mann profitiert von Sexismus. So funktioniert Unterdrückung. Das ist kein Vorwurf, sondern eine Feststellung. (Laurie Penny hat dazu einen treffenden Artikel geschrieben, Of course all men don’t hate women. But all men must know they benefit from sexism http://www.newstatesman.com/2013/08/laurie-penny/men-sexism)
Verhaltensweisen, die Dominanz ausdrücken, wurden Männern von Geburt an beigebracht, genauso wie Frauen dazu sozialisiert wurden immer nett, freundlich und gut zu sein. Sich aus dieser Sozialisation zu befreien ist ein Prozess. Männer können nicht wissen wie es ist als zweites, „schlechteres“ Geschlecht sozialisiert worden zu sein, denn sie teilen diese Erfahrung nicht.
Frauen schulden Männern tatsächlich nichts, weder ein Lächeln, noch Raum, noch irgendetwas. Alleine der besondere Wert, der auf die Beteiligung von Männern bei One Billion Rising gelegt wird, betont wieder die übliche Frauenrolle der netten und guten, die ja Männer einladen will und es sich nicht erlauben darf, ihren Raum für sich alleine und exklusiv zu bestimmen, denn dann wäre sie ja aggressiv und böse. Das darf nicht sein, obwohl Frauen wohl das Recht zugestanden werden muss, sich so zu fühlen und zu geben wie sie möchten, nach umfassender Gewalterfahrung, auf die eine oder andere Art und Weise, die viele von uns gemacht haben. Wieso müssen und sollen Frauen sogar an einem Tag gegen Gewalt, deren Opfer sie mehrheitlich sind, stereotype Erwartungen an sie als „Frauen“ fortsetzen, obwohl diese Erwartungen ja letztendlich auch zur Gewalt geführt haben. Vielleicht fühlt sich die ein oder andere Frau, die Gewalt erleben musste unwohl in der Gegenwart von Männern, die unbewusst männliche Dominanz ausstrahlen.
Studien schätzen, dass bis zu 30% aller Frauen in allen Ländern der Welt die Opfer von Gewalt durch Männer geworden sind, deshalb findet One Billion Rising ja überhaupt statt. Viele glauben, dass diese Zahl sogar zu niedrig angesetzt ist. Es kann deshalb nicht von Frauen erwartet werden zu glauben, dass Männer „sicher“ sind. Nur weil beteiligte Männer behaupten, gegen Gewalt zu sein, heißt das nicht, das dies wirklich so ist. Gerade traumatisierte Menschen wissen, dass der Wolf sich häufig im Schafspelz versteckt, und gerade an einem Tag wie OBR geht es um Frauen, und nicht um die Bedürfnisse und verletzten Gefühle von Männern, die sich ausgeschlossen fühlen könnten.
Es ist auch nicht die Aufgabe von Männern Frauen zu beschützen, denn das können sie selbst. Es ist die Aufgabe von Männern Solidarität zu zeigen und die Wünsche von Frauen zu respektieren und nicht die übliche Geschlechteraufteilung in starke beschützende Männer und arme, missbrauchte Gewaltopfer fortzusetzen.
Wenn Männer sich wirklich und aufrichtig mit Gewaltstrukturen und ihrer eigenen Sozialisation beschäftigt haben, wären sie schon vor OBR organisiert gewesen und hätten als organisierte Gruppe um eine Art der Beteiligung als Zeichen der Solidarität gebeten (zum Beispiel Zero Macho in Frankreich (http://tinyurl.com/ogcgyw7), oder Real Men dont buy girls (http://tinyurl.com/no2jzqs) Echte Männer kaufen keine Frauen (http://tinyurl.com/nraj48h)). Das würde und sollte sogar ausdrücklich willkommen geheißen werden. Unter allen anderen Umständen ist unserer Meinung nach eine Beteiligung und „Integration „ von Männern in OBR abzulehnen. Es ist nicht die Aufgabe von Frauen, Männer zu erziehen oder sich um sie zu bemühen, damit sie sich „integrieren“ können.
Wir sehen in One Billion Rising ein großes Potenzial für Selbstermächtigung und Besetzung des öffentlichen Raums. Eine Möglichkeit laut aufzuschreien gegen die Unterdrückung von Frauen im Hier und Heute. Wir meinen: Wir sollten unsere Kraft als Frauen, die solidarisch zusammenstehen, nicht unterschätzen.
LISA Wiesbaden